Löcher in der Zeit

Bauten im Wandel: Der Fotograf Matthias Hoch widmet seine Serie „Silver Tower“ dem leer geräumten Gebäude der Dresdner Bank. Von Christoph Schütte.

Natürlich ist das ein Klischee. Die Bosse, die hier versonnen aus Panoramafenstern auf die Stadt zu ihren Füßen schauen. Die Herren Direktoren mit Zigarre, die sich in weiche Polster sinken lassen. Die geräuschlos sich schließenden Türen der oberen Etagen oder die wie eine Epiphanie den großen Saal hell überstrahlende Beleuchtung. Aber was will man machen? Derlei Phantasien stellen sich nun einmal unwillkürlich ein. Dabei ist nichts oder doch wenig davon überhaupt zu sehen in den Bildern von Matthias Hoch, mit der sich der 1958 geborene Künstler in der Galerie Jacky Strenz vorstellt. Ihm geht es immer schon um etwas anderes. 

Ob in seiner Serie über den nagelneuen – und schon sanierungsbedürftigen – Berliner Flughafen, einer Folge zum leer stehenden Salzburger Hotel Kobenzl oder, wie hier, in „Silver Tower“, stets interessiert sich der Leipziger Fotograf für Zwischenräume. Für Löcher in der Zeit, die jenen Augenblick markieren, wo etwas ein für allemal zu Ende geht. Und vielleicht auch etwas Neues, gänzlich anderes beginnt. Das gilt für das ehemalige Luxushotel, das ein paar Monate ein „Flüchtlingsverteilzentrum“ war – und dann still vor sich hin verfiel. Für den BER-Flughafen, von dem man bis heute nicht zu sagen weiß, ob er tatsächlich existiert. Und der Silberturm der Dresdner Bank erscheint während der Sanierung als ein Bild des Übergangs par excellence. 

Eben erst hatte die Finanzkrise die Weltwirtschaft erschüttert, war im Zuge dessen die Dresdner Bank in der Commerzbank aufgegangen und wollte das gleichsam über Nacht überflüssig gewordene Gebäude niemand haben. Um die Sanierung aber kam das Bankhaus nicht herum. Das war Hochs Moment. Zwei Jahre hat er den 2009 leer geräumten Büroturm erkundet und Spuren festgehalten: Abdrücke im grauen Teppich, die ein Schreibtisch hinterlassen hat, offen stehende Tresore oder schwere ausrangierte Ledersessel. Sonst nichts. 

Abstrakte, mit der Großformatkamera präzise komponierte Bilder im Grunde allesamt. Selbst dort, wo Hoch auf die Wolkenkratzer vor dem Fenster blickt, die das in den Siebzigerjahren errichtete Gebäude längst schon überragen. Freilich, was die Aufnahmen jenseits der Motive zeigen, sind nicht eigentlich Interieurs. Hochs Fotografie fokussiert vielmehr das allmähliche Verschwinden. Was dagegen bleibt und was die 46 Arbeiten umfassende Serie beim Betrachter zu evozieren vermag, sind Nachbilder wie aus einer anderen Epoche. Einer Zeit indes, die unsere eigene Vergangenheit vorstellt, vom ersten Käfer, Bausparvertrag und Eigenheim bis zum Finanzkapitalismus unserer Tage, der die Gewissheiten der Wirtschaftswunderjahre, wo nicht beseitigt, so doch radikal infrage stellt. 

Derweil schaut man ein letztes Mal auf das „Grüne Band der Sympathie“, wie es in der Werbung des untergegangenen Bankhauses hieß, und sieht: Der Lack ist ab. Buchstäblich, und das grüne Möbiusband wohl ein für allemal gerissen. Und so sieht man nicht nur eine Bank, sondern eine ganze Welt verschwinden. Bild um Bild um Bild. Allein das ikonische, einst die Frankfurter Skyline dominierende Gebäude steht noch fest an seinem Platz. Die Welt da draußen vor den Panoramafenstern, sie ist längst eine andere.

Veröffentlicht in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.10.2023

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